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„Veränderung beginnt bei uns“

Umweltpsychologin Jana Kesenheimer beschäftigt sich mit der Wechselwirkung zwischen menschlichem Verhalten und unserer Umwelt. Wieso individuelles Handeln wichtig ist und es zu früh ist, um die Hoffnung aufzugeben, erklärt sie im 6020-Interview.   

Zur Person:

Jana Kesenheimer hat in Tübingen studiert, in der Marktforschung und im Marketing gearbeitet und dann nach einem „besseren Sinn“ gesucht – den sie durch ihr Doktorat an der Universität Innsbruck 2019 gefunden hat. Seither ist sie in der Sozialpsychologie tätig und beschäftigt sich mit umweltpsychologischer Forschung. Dort untersucht sie unter anderem, warum Menschen sich nicht umweltbewusst verhalten, obwohl sie es meist besser wissen, und untersucht, welchen Einfluss wir auf unsere ökologische Umwelt haben.

6020:

Waldbrände, schmelzende Gletscher und verpasste Klimaziele: Immer öfter werden wir mit Hiobsbotschaften in Sachen Klima konfrontiert. Trotzdem handeln nur sehr wenige Menschen konsequent klimafreundlich. Wieso? Jana Kesenheimer: Die Kluft zwischen Einstellung, Intention und tatsächlichem Verhalten ist groß. Einer der Hauptgründe dafür ist das Gefühl geringer Selbstwirksamkeit, also die Annahme, als Einzelne:r kaum etwas bewirken zu können. Zudem spielen die sogenannten Verhaltenskosten im Alltag eine Rolle, die nicht nur Finanzielles umfassen, sondern auch andere Unannehmlichkeiten wie Zeitaufwand, Anstrengung oder sozialen Druck, die nachhaltiges Handeln erschweren.

Sind wir also schlicht zu bequem?

Es geht um mehr als Bequemlichkeit: Wir fokussieren uns zu oft auf kleine, leicht umsetzbare Maßnahmen, wie das Ausschalten des Lichts, und unterschätzen die Wirkung kollektiven Verhaltens und seltenen Verhaltens, etwa den Umstieg auf eine Wärmepumpe. Zugleich wollen wir ein positives Selbstbild bewahren, aber scheuen den Aufwand – und sagen uns: „Ich esse sowieso selten Fleisch, dann muss ich mir auch keine Gedanken um die Isolierung meiner Fenster machen.“ 

Wenn es um Klimaschutzmaßnahmen geht, erleben wir oft Widerstand – sei es gegen Tempolimits, Fleischverzicht oder CO₂-Steuern. Warum?

Tatsächlich können Klimaschutzmaßnahmen genau das Gegenteil bewirken, wenn sie als Einschränkung der persönlichen Freiheit wahrgenommen werden. Menschen neigen dann zu Trotzreaktionen nach dem Motto: „Jetzt erst recht!“ Dieses Phänomen kennen wir von anderen gesellschaftlichen Veränderungen, etwa beim Rauchverbot oder den Coronamaßnahmen. Autonomie ist ein zentrales menschliches Bedürfnis – wer sich bevormundet fühlt, leistet Widerstand.

Häufig wird argumentiert, dass individuelles Handeln wenig bringt, solange Politik und Wirtschaft nicht stärker eingreifen. Wie wichtig ist individuelles Verhalten wirklich?

Geschichtlich betrachtet, gingen viele große gesellschaftliche Veränderungen von Minderheiten aus – sei es in der Frauenrechtsbewegung oder im Kampf gegen Rassismus. Ich schätze unsere individuelle Rolle in der Klimakrise vor allem im sozialen Umfeld als sehr groß ein. Schaffen wir es, den Klimadiskurs aus der eigenen „Bubble“ hinauszutragen? Diese Frage wird vor allem relevant, wenn wir vermeiden wollen, dass Minderheiten das Ruder übernehmen, die uns weiter in die Klimakrise steuern – Veränderung beginnt bei uns.

Klimadiskussionen enden oft in Streit. Wie kann man Menschen für Klimaschutz gewinnen, ohne dass sie sofort abblocken? Oder anders gefragt: Wie kriege ich meinen Onkel Günter dazu, weniger zu fliegen?

Eine faktenbasierte Diskussion ist nicht immer hilfreich, weil jede:r online Argumente für die eigene Meinung findet und Diskussionen schnell zum Schlagabtausch werden. Viel effektiver ist es, echtes Interesse zu zeigen: Was macht für mein Gegenüber ein gutes Leben aus? Ist das klimaschädigende Verhalten tatsächlich so identitätsstiftend? Welche Ängste stecken dahinter? Wenn wir diese Fragen offen angehen, lässt sich ein Dialog aufbauen, der nachhaltiger wirkt als harte Fakten allein.

In Ihrem Fachbereich sind gute Nachrichten Mangelware. Wie gelingt es da, optimistisch zu bleiben? Und: Wird am Ende alles gut?

Ich ziehe viel Optimismus aus dem Austausch mit Freund:innen und Studierenden. Das Zusammentun mit anderen kann uns auffangen, wenn die Frustration überhandnimmt. Außerdem gibt es in der Tat gute Nachrichten: Erneuerbare Energien sind die am schnellsten wachsende Energieform, die es je gab. In den nächsten fünf Jahren könnte die Hälfte des globalen Strombedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Das macht doch Hoffnung!

3 Tipps

Was jede:r Einzelne beitragen kann:

1. Soziales Netzwerken, kollektives und politisches Handeln im Klima­diskurs nutzen

2. Sich (zumindest zeitweise)
vegetarisch oder vegan ernähren

3. Transport- und Reisewege sowie Konsumentscheidungen im Alltag überdenken


Diese Serie wird durch Unterstützung des VVT ermöglicht.

Der Klimawandel betrifft uns alle, deshalb widmet sich die Serie „Und wie geht’s dem Klima?“ einmal im Monat aktuellen Entwicklungen, Herausforderungen und Ideen rund um das Thema.

Interview: Leonie Werus
Fotos: Franz Oss