Die Frau fürs Grobe
Sevim Bilmez ist in echt das, was Heiko „Schotty“ Schotte in der NDR-Comedyserie ist: eine Tatortreinigerin. In Tirol ohne echte Konkurrenz entfernt sie ganz legal die Spuren von Verbrechen, Unfällen und Selbstmorden.

Sevim Bilmez ist in echt das, was Heiko „Schotty“ Schotte in der NDR-Comedyserie ist: eine Tatortreinigerin. In Tirol ohne echte Konkurrenz entfernt sie ganz legal die Spuren von Verbrechen, Unfällen und Selbstmorden.
Bevor Heiko „Schotty“ Schotte als Star der NDR-Comedyserie „Der Tatortreiniger“ ein gesellschaftlich eher übersehenes Berufsbild salonfähig machte, hatte wohl kaum wer gewusst, was ein „Tatortreiniger“ überhaupt ist: jemand, der nach Verbrechen, Unfällen und Suiziden dafür sorgt, dass sich die Spuren verlieren, Zimmer wieder bewohnbar werden, das Leben für die Hinterbliebenen weitergehen kann.
Ausgebildet und zertifiziert.
Die TV-Serie spielt im weltstädtischen Hamburg, dort mag es sicher Bedarf für derartige Reinigungskräfte geben. Dass es aber auch im leicht verschlafenen Innsbruck einen Tatortreiniger – noch spannender: eine Tatortreinigerin – gibt, ist eher verwunderlich, aber wahr: Sevim Bilmez ist nicht nur Meisterin im Denkmalreiniger-Gewerbe, sie ist auch Chefin des „Orti-Reinigungsservice“ mit 13 Mitarbeiter:innen. Als Einzige im Betrieb besitzt Sevim seit acht Jahren auch eine Zusatzausbildung, die so selten ist wie ein:e koalitionsfähige:r Politiker:in: Sie ist per Zertifikat zur Tatortreinigung befähigt. Wie ist Sevim Bilmez überhaupt auf die Idee gekommen, Tatortreinigerin zu werden? Wurde sie inspiriert, während sie deutsches Unterhaltungs-TV schaute? Hatte sie eine Eingebung, während sie schwedische Krimis las? Die Antwort ist wesentlich profaner: Als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern war es Sevim aus zeitlichen Gründen unmöglich, ihren ursprünglichen Job als McDonald’s-Filialmanagerin weiter auszuüben. Um für den Unterhalt der Familie aufkommen zu können, nahm sie diverse Reinigungsjobs an, die sie derart gut erledigte, dass Weiterempfehlungen an der Tagesordnung standen. Und weil das so gut klappte mit dem Saubermachen, kam Sevim Bilmez der Gedanke, das auch zum Beruf zu machen.
Technische Könnerschaft.
Nach intensiven Lernjahren folgte die Meisterprüfung als Denkmal- und Gebäudereinigerin. Da wusste Sevim bereits viel über Oberflächenphysik, Moleküle, empfindliche Materialien und geeignete Chemikalien für mannigfache Reinigungs-Anwendungsbereiche im Spannungsfeld zwischen Großraumbüros, Kindergärten und fragilen Kirchenstuckaturen. Als Firmenchefin bewegte sich Sevim Bilmez einige Jahre im klassischen Gebäudereinigungsgewerbe, bis ihr das nicht mehr reichte. Eine Zusatzausbildung im Bereich „Desinfektion“ folgte. Während dieser Ausbildung entdeckte sie, dass dieser Lehrgang gleichzeitig als essenzielle Grundlage für den weiterführenden Kurs „Tatortreinigung“ diente. Für diesen benötigt man allerdings einen stärkeren Magen, den Sevim Bilmez dankenswerterweise mitbrachte. Am Lehrplan standen unter anderem der richtige Umgang mit blutauflösenden Chemikalien, die achtsame Verwendung von Stoffen, die Harn und Fäkalien entfernen, die Verwendung geeigneter Spachtelwerkzeuge fürs Grobe und die Entsorgung kontaminierter Textilien und Möbelstücke.
„Ein Tatort ist kein schöner Platz“, das wurde Sevim bei dieser Ausbildung bewusst. Aber auch dort funktioniert das, was für sie die Essenz ihres Berufs ausmacht: das teilweise kaum aushaltbar verschmutzte „Davor“ mit technischer Könnerschaft in ein „Danach“ zu verwandeln, das nicht mehr von traurigen menschlichen Schicksalen erzählt und in dem das Leben weitergehen kann.
Sevim Bilmez
Vom Tatort zum Lebensort.
Damit sich ein Tatort in einen Lebensort zurückverwandeln kann, braucht es allerdings mehrere Tage, erklärt Sevim Bilmez. Kommt die Tatortreinigerin – beauftragt zumeist von Angehörigen – zum ersten Mal zu ihrem temporären Arbeitsplatz, wurde die Leiche bereits abtransportiert oder die verunfallte Person ins Krankenhaus eingeliefert. Mit der Polizei muss zu diesem Zeitpunkt bereits geklärt sein, ob die Spurensicherung abgeschlossen ist und der Tatort überhaupt schon betreten werden darf. Was folgt, kennt man eventuell aus Tatortermittler-Krimis: Um Gerüche zu entfernen und potenziell gefährliche Mikroorganismen abzutöten, die bei Bluttaten und Morden auch durch das längere Unentdecktbleiben von Leichen entstehen können, wird der Tatort mit durchsichtigen Planen möglichst luftdicht versiegelt. Ein spezielles Gerät bläst dann für viele Stunden Ozon in den abgedichteten Raum und reinigt ihn dadurch bis in die kleinsten Ritzen. Dabei ist große Vorsicht angebracht, da Ozon in derart hohen Konzentrationen gesundheitsgefährlich ist und daher ausgeschlossen werden muss, dass sich Menschen, Pflanzen oder Haustiere während dieser Behandlung in der Nähe des Tatorts befinden.
Ganzkörperschutz.
Am Tag nach der Ozonbehandlung beginnt dann die eigentliche Arbeit der Tatortreinigerin. Ausgestattet mit einem Ganzkörper-Schutzanzug samt Filtermaske startet Sevim mit der Grobreinigung. Im schlimmsten Fall befinden sich noch Leichenteile am Tatort, die oft nur mit gröberen Werkzeugen entfernt werden können. Blut wird – wo möglich – mit chemischen Mitteln neutralisiert, kontaminierte Gegenstände werden desinfiziert und – falls das nicht mehr möglich ist – entsorgt. Hier gibt es Konfliktpotenzial mit den Hinterbliebenen, die nicht immer einsehen können, dass sie sich nicht nur von geliebten Menschen, sondern auch von Gegenständen verabschieden müssen, die sie an diesen Menschen erinnern, die aber inzwischen potenziell gesundheitsgefährlich sind. Manchmal reicht es auch nicht, Wände und Böden nur zu reinigen. Dann werden Handwerker:innen hinzugezogen, die den Putz abschlagen, die Böden erneuern oder die Mauern neu streichen. Jeglicher Abfall vom Tatort ist Sondermüll, der nicht einfach weggeworfen werden darf. Er muss zu eigenen Entsorgungsstationen für klinische und Sonderabfälle geliefert werden. Erst nachdem Sevim Bilmez die oft mehrere Stunden dauernde Grobreinigung abgeschlossen hat, kommen ihre Mitarbeiter:innen, um die Endreinigung durchzuführen.
Spechtler:innen und Käuze.
Während der Arbeit müssen Sevim und ihre Mitarbeiter:innen nicht nur mit den Herausforderungen des Berufs umgehen, sondern immer wieder auch mit neugierigen Nachbar:innen, die ganz genau wissen wollen, was hier eigentlich passiert ist, und die auch mal ganz gerne mit auf den Tatort gehen würden, um, so die Tatortreinigerin, „sich selbst ein Bild von Dingen zu machen, die sie nichts angehen“.
Es versteht sich von selbst, dass sie weder diese Neugierigen mitnimmt noch jene „Freiwilligen“ erhört, die sich immer wieder auf der „Orti“-Homepage melden, um sich als ungelernte Tatortreiniger:innen anzubieten, in der Hoffnung auf schnelles Geld und langen Nervenkitzel. Wer Tatortreinigung durchführt, braucht eine Ausbildung und eine Grundlust am gesamten Reinigungsjob. Eine ausschließliche Tatortreinigung gibt’s bei Sevim Bilmez nicht, der profane Gebäudereinigungsalltag bleibt keinem „Orti“-Mitarbeiter erspart.
Belastend, aber befriedigend.
Was ist für Sevim Bilmez bei ihrer Arbeit das Schlimmste? „Zunächst der Geruch, gegen den auch kein kurzfristiges Lüften hilft.“ Ebenfalls belastend seien die Fragen im Kopf, wie diese Person gelebt hat und warum sie auf teils sehr gewaltsame Weise von dieser Welt hat gehen müssen. Aber auch die Umständlichkeit der Arbeit macht Sevim zu schaffen. Jedes Mal, wenn sie zum Beispiel auf die Toilette gehen muss, verlässt sie den Tatort und damit den sogenannten „Schmutzraum“, den sie nur mit dem Schutzanzug betreten darf und von dem – wenn er noch nicht vollständig gereinigt ist – keine Kontamination nach außen in den „Reinraum“ dringen soll. Also wird der Schutzanzug umständlich ausgezogen, damit unbrauchbar und zu Sondermüll, nur um fünf Minuten später in einer ähnlich umständlichen Prozedur durch einen neuen Schutzanzug ersetzt zu werden.
Und was ist das Schöne am Beruf? „Der letzte Blick auf einen Ort, der vor wenigen Tagen noch furchtbar ausgesehen hat und sich jetzt derart verändert präsentiert, dass man ihn mit gutem Gewissen an die Auftraggeber übergeben kann.“
Ist die Arbeit schließlich getan, lässt Sevim Bilmez mit dem Schließen der Wohnungstüre alles Belastende hinter sich. Als gläubige Muslimin hat sie ein finales Gebet für alle, deren sterbliche Überreste sie geholfen hat zu entfernen: „Gott schütze sie, hoffentlich ist’s auf der anderen Seite besser.“