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(Fast) alle haben sich lieb

Am 17. Mai 2024 wurden der neue Innsbrucker Gemeinderat und die Stadtregierung unter Neo-Bürgermeister Johannes Anzengruber angelobt. Das erste von sechs Jahren in dieser Konstellation ist vorbei. Was hat sich getan?

Die neue Stadtregierung bestehend aus der Bürgermeisterliste JA – Jetzt Innsbruck, den Grünen und der SPÖ ist mit großen Versprechen in die Gemeinderatsperiode 2024 bis 2030 gestartet: neben einer umfangreichen Liste an teils konkreten, z. B.

• „Wir wollen die ehemalige Talstation der Hungerburgbahn für die ‚Junge Talstation‘ ankaufen“

• Stadtteilprojekt Mühlau
„Buslinie Mühlau–Hocharzl, Prüfung der Entwicklung Vereinshaus-NEU in Kombination mit Bildungscampus, Bau Blaulichtzentrum, Aufwertung Traklpark, Unterstützung öffentlich zugänglicher
Räume am Dorfplatz“

teils sehr allgemeinen, z. B.

• „Das Netzwerk der Freiwilligen­arbeit stärken“

• „Wir streben mehr kostenlose Freizeit-, Kultur- und Sportangebote für alle Innsbrucker Kinder und Jugendlichen an“

Vorhaben – auf rund 100 Seiten im Zukunftsvertrag festgehalten – mit vor allem einem Ziel: einem Ende des ständigen Streites und Sich-in-den-Rücken-Fallens, das die letzte Gemeinderatsperiode geprägt hat. Zusammen statt gegeneinander, Kompromisse statt Blockaden, so der Tenor aller Gewählten.


Inhaltliche Prioritäten

Bei der Frage nach den jeweils drei aktuell wichtigsten inhaltlichen Themen der Gemeinderatsfraktionen ist leistbares Wohnen mit sieben Nennungen klarer Spitzenreiter. Ebenfalls mehrfach genannt wurden eine klimafitte- und klimagerechte Stadtentwicklung, eine Verbesserung der Aufenthalts- und Lebensqualität, mehr Teilhabe und Transparenz und die Ankurbelung der Wirtschaft.


Der Zukunfts-vertrag

Wer sich einen Überblick über die Ziele und Versprechen der Innsbrucker Stadtregierung verschaffen will, hat mit dem Zukunftsvertrag zu Themen wie Wohnen, Verkehr, Klima und Kultur eine fast 100 Seiten lange Liste zur Verfügung: zukunftsvertrag_2024_2030.pdf 

Ein Jahr später.

Nach gerade einmal einem Sechstel der Gemeinderatsperiode kann man natürlich nicht erwarten, dass der ambitionierte Zukunftsvertrag schon zu einem großen Teil umgesetzt ist – dafür war unabhängig vom Wollen und Können schlicht nicht genug Zeit. Ein paar der Punkte sind bereits erledigt beziehungsweise ins Rollen gebracht, darunter die Überarbeitung der Wohnungsvergaberichtlinie und die umstrittene Ausweisung von Vorbehaltsflächen für den geförderten Wohnbau, andere – wie der Ankauf der Talstation – scheinen aus heutiger Sicht unrealistisch.

Auf Nachfrage bekennen sich weiterhin alle Fraktionen der Caprese-Koalition klar zu dem Papier, allerdings mit dem Vorbehalt, dass die schwierige budgetäre Situation der Stadt die Umsetzung der Ziele erschwere und deshalb Prioritäten gesetzt werden müssen. Vielleicht wünscht man sich in ein, zwei Jahren, das Papier nicht in dieser Ausführlichkeit veröffentlicht zu haben, denn so wird die Regierung am Ende definitiv daran gemessen werden, wie viele der Versprechen in den einzelnen Bereichen eingehalten wurden – egal, ob die Umsetzung am politischen Willen oder der finanziellen Lage scheitert.


Kontroverse

Der wohl brisanteste Beschluss der aktuellen Gemeinderatsperiode betrifft die Ausweisung von Vorbehaltsflächen für den sozialen Wohnbau, die im März mit einer großen Mehrheit vom Gemeinderat auf Schiene gebracht wurde. Das Thema war bereits 2022 unter dem jetzigen Vizebürgermeister Georg Willi auf der Tagesordnung, wurde aber abgelehnt. Durch den Beschluss und die damit einhergehende Bausperre für aktuell 23 Grundstücke, die allesamt größer als 2.500 Quadratmeter und seit mindestens 15 Jahren als Bauland gewidmet sind, soll unbebautes Bauland für den städtischen Wohnbau gesichert werden.

Das Instrument der Vorbehaltsflächen ist seit 1994 im Tiroler Raumordnungsgesetz verankert und erlaubt, die unbebauten Flächen durch eine angedrohte Rückwidmung in Grünland, sofern nicht mindestens die Hälfte des Grundes an die Stadt oder gemeinnützige Wohnträger verkauft wird, nutzbar zu machen. Während die Befürworter:innen argumentieren, damit leistbaren Wohnraum schaffen und Spekulation eindämmen zu können, sehen die Gegner:innen den Versuch der Enteignung. Aktuell laufen Gespräche mit den betroffenen Eigentümer:innen, um die weitere Vorgehensweise auszuloten.

Neue Einigkeit.

Auffällig ist, dass einige der bereits umgesetzten oder zumindest gestarteten Projekte (Neugestaltung Bozner Platz, Vorbehaltsflächen) bereits in der letzten Gemeinderatsperiode angedacht waren, damals aber keine Mehrheiten bekamen – nicht zuletzt, weil auch viele der immer noch im Gemeinderat und teils sogar in der Regierung sitzenden Fraktionen und Mitglieder dagegen waren. Dass das damals vielleicht keine rein sachlichen Entscheidungen waren, sondern diese dem spätestens seit dem freien Spiel der Kräfte extrem destruktiven Klima im Gemeinderat geschuldet waren, ist keine besonders gewagte Idee. Unabhängig davon kann man jedenfalls feststellen: Bisher wirkt die Zusammenarbeit wesentlich konstruktiver, es werden Dinge beschlossen und es wird großteils auf persönliche Attacken verzichtet.

Diesen Eindruck von außen bestätigen auf Nachfrage auch die Fraktionen: Bis auf die FPÖ und Das Neue Innsbruck beurteilen alle das Arbeitsklima als wesentlich besser. Als Gründe werden mehrheitlich die andere Zusammensetzung des Gemeinderats, eine positivere Grundhaltung und der erkennbare Wille, Dinge umzusetzen, genannt. Vor allem innerhalb der Regierung klingt man glücklich mit der Zusammenarbeit und signalisiert gegenseitiges Wohlwollen. Die anderen Fraktionen kritisieren durch die Bank zu wenig Transparenz und Offenheit vonseiten der Koalition, sehen aber den Austausch und die Zusammenarbeit innerhalb der Opposition positiv. Im Vergleich zur vorherigen Periode ergibt das ein fast erschreckend harmonisches Bild – und die Chance, dass in den kommenden Jahren gemeinsam tatsächlich einiges weitergebracht wird.


Wer sitzt im Gemeinderat?

Grüne: 8 Mandatar:innen

JA – Jetzt Innsbruck: 8 Mandatar:innen

FPÖ: 7 Mandatar:innen

SPÖ: 6 Mandatar:innen

Das Neue Innsbruck: 4 Mandatar:innen

KPÖ: 3 Mandatar:innen

Liste Fritz: 2 Mandatar:innen

Alternative Liste: 2 Mandatar:innen

Text: Lisa Schwarzenauer