Testosteronfreie Tanzzone: Die beiden Mütter Elisa und Christine haben die in Wuppertal erfundene Partyreihe „Mama geht tanzen“ nach Tirol geholt, um Frauen mit und ohne Mutter-Kind-Pass einen exklusiven Freiraum zu bieten. Dass Männer hier nur Randfiguren sind, stört nicht mal die Männer.
So you better get this party started“, schallt es um Punkt 20 Uhr durch die Music Hall, die für die noch nicht recht fortgeschrittene Uhrzeit bereits erstaunlich voll ist. DJ Funshine, die an diesem Oktoberabend den Ton angibt, schickt dem P!nk’schen Party-Appell aber noch eine Botschaft voraus. „Ihr sollt heute drei Stunden lang Spaß haben! Also lasst los und seid glücklich“, feuert die aus München angereiste Energiekanone die Crowd an. Und erntet Jubel. Die Motivations-Message geht runter wie die Welcome-Shots, die Elisa mit und ohne Alkohol ausschenkt, während ihre Kollegin Christine am Eingang die Tickets checkt. Zum Tanzen werden die beiden Freundinnen erst später kommen. Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen. Wobei das eine das andere ja nicht zwingend ausschließen muss.
Das Kind schaukeln.
Das „Baby“, um das sich die beiden Zweifachmütter aktuell kümmern, nennt sich „Mama geht tanzen“ und ist ein Partyevent, das im Dezember 2022 in Wuppertal entwickelt wurde und diesen Juni auch in Tirol angekommen ist. Womit wir wieder bei Elisa und Christine wären, die es leid waren, bis spätnachts warten zu müssen, um tanzen gehen zu können. Vielen ihrer Freundinnen ging es da ähnlich. „In den meisten Clubs ist ja erst um Mitternacht was los. Aber wenn man Kinder hat, geht sich das einfach nicht aus“, sagt Elisa, die beruflich stets mit der Gastro verbunden war und nach ihrer Karenz den Weg in die Selbstständigkeit suchte. Auch deshalb, um sich und anderen Müttern den Traum vom Early-Evening-Dance zu erfüllen. Internetrecherchen führten sie schließlich zur Reihe „Mama geht tanzen“, die es mittlerweile in knapp 60 Städten in Deutschland, der Schweiz und Österreich gibt und die sich als „After-Care-Party von Mamas für Mamas“ versteht. Getanzt wird hier von 20 bis 23 Uhr, also in der prognostizierten Tiefschlafphase des Nachwuchses, in der selbst Jungmamas mal ohne schlechtes Gewissen loslassen dürfen. „Das Konzept hat uns gefallen: Und nachdem wir mit den Erfinderinnen Anna und Andrea in Kontakt waren, haben wir uns entschlossen, das Event als Franchise nach Tirol zu bringen. Das hat schon viel Mut gebraucht, aber wir waren uns sicher, dass wir es sonst bereuen“, erklärt Christine, die bis zur Geburt ihres zweiten Kindes als Krankenschwester arbeitete und nun gemeinsam mit Elisa eben Party-patientinnen versorgt. Und zwar nicht nur in Innsbruck, sondern auch in Füssen, Garmisch und Kufstein.
„Hier kann jede so sein, wie sie will“,
freut sich Patricia
Männer nur als Anhang erlaubt.
Dabei sind stets mindestens 98 Prozent der Gäste weiblich. Das gehört zur Grundidee von „Mama geht tanzen“, wo Männern ohne weibliche Begleitung der Zutritt strikt verwehrt bleibt. Ist das nicht ein wenig diskriminierend? „Uns geht’s nicht vordergründig darum, Männer auszuschließen. Aber jetzt gibt’s halt auch mal was Exklusives für Frauen, die es genießen, unter sich sein zu können und sich frei zu fühlen“, argumentiert Christine. „Wir wollen hier auch einen Safe Space garantieren. Denn leider ist es oft so, dass man als Frau irgendwann blöd von Männern angetatscht oder angequatscht wird. Hier passiert das nicht. Und das schätzen unsere Gäste voll“, ergänzt Elisa, deren Mann Fabian übrigens einer der wenigen männlichen Randfiguren an diesem Abend ist. „Die Mädels, mit denen ich heute geredet habe, sind alle voll happy, dass es endlich so was gibt“, sagt er, während er beim Einlass Stempel verteilt und betont, dass er Geschlechtsgenossen tatsächlich nur Einlass gewährt, wenn sie als Frauenanhängsel kommen. „Sollten sie allein auftauchen, weil die Frauen schon drinnen sind, dann müssen die sie beim Eingang abholen. Da bin ich streng“, untermauert Fabian, der an diesem Abend nur die Handrücken von vier Männern abzustempeln hat. Zwei davon stehen etwas bedröppelt im Windschatten ihrer Begleiterinnen an der Bar, die anderen beiden stürmen zusammen mit ihren Freundinnen euphorisch die Tanzfläche, wo gerade die Queen-Devise „Don’t stop me now“ herrscht.
„Uns geht’s nicht vordergründig darum, Männer auszuschließen. Aber jetzt gibt’s halt auch mal was Exklusives für Frauen, die es genießen, unter sich sein zu können und sich frei zu fühlen.“
Christine (Mama-geht-tanzen-Organisatorin)
Hunde-Mama Christiane ist aus Imst zum Tanzen angereist, und genießt ihre Auszeit und den Sound von DJ Funshine, die drei Stunden lang gute Laune verbreiten will.
Komplimente to go.
Patricia tut, wie Freddy Mercury es ihr befiehlt, und hat augenscheinlich a good time. Out of control ist die 34-Jährige allerdings nicht. „I trink nur a bissl. Morgen will ich ja fit sein“, sagt die Mutter eines dreijährigen Stöpsels, auf den heute ihre Mama schaut. Auf „Mama geht tanzen“ ist sie via Instagram gestoßen, das Event findet sie genial. „In Innsbruck gibt’s ja sonst nichts, wo du zu so einem Sound tanzen kannst“, erklärt sie zwischen zwei Mainstreamhits. Dass die Party so gut wie testosteronfrei über die Bühne geht, stört sie nicht. Im Gegenteil. „Ich hab schon einen Mann. Außerdem stehen die Typen eh meistens nur herum und gaffen.“ Das Männermanko habe aber noch etwas Gutes. „Hier kann jede so sein, wie sie will. Ohne großes Aufmascheln, ohne grobes Konkurrenzdenken. Das taugt mir“, meint Patricia und reißt die Arme hoch, als DJ Funshine „Ein Kompliment“ von den Sportfreunden Stiller auflegt. Komplimente gibt’s aber auch auf der Damentoilette, wo auf den Fliesen die Feel-Good-Botschaft „Du schaust super aus“ zu lesen ist. Außerdem lassen sich neben dem Waschbecken Zettel-Nettigkeiten von einem pinken Blatt runterrupfen. Diese kann man verteilen. Oder selber einstecken. „Mit dir lache ich am liebsten“ steht da etwa – ein Spruch, der wie gemacht ist für ein energetisches Mutter-Tochter-Gespann, das mit Leuchtstäben wachtelnd dem „Rhythm of the Night“ folgt. Die 47-jährige Alexandra und die 74-jährige Lotte sind gekommen, um zu bleiben. Und mit „ihren Mädels“ einen gleich ausgelassenen wie unbeschwerten Abend zu erleben. Alexandras Kinder sind zwar schon Anfang 20 und brauchen längst keinen Babysitter mehr, trotzdem genießt sie es, „Gas zu geben und Spaß zu haben“. Lotte geht’s da gleich. Dass sie den Altersschnitt etwas hebt, ist ihr einerlei. Fürs Tanzen ist man nie zu alt.
Frühe Sperrstunde.
Es ist kurz vor 22 Uhr, die Stimmung ist am Höhepunkt. Oder wie Deichkind sagen würden: „Krawall und Remmidemmi“. Mittendrin unter den knapp 350 Tanzenden ist auch Steffi, die schon da ist, seit die Music Hall um 19.30 Uhr aufgesperrt hat. Die Auszeit will schließlich optimal ausgenutzt werden. Um 23 Uhr ist ja schon wieder Schluss. Verdirbt das der 37-jährigen Zweifachmama, deren Mann heute den Nachwuchs hütet, nicht die Feierlaune? „Nein. Mir ist das egal. Ich kann ja trotzdem noch weiterziehen“, lacht die Partymaus, die sich hier pudelwohl fühlt. „Ich war schon im Juni da und find’s echt cool hier. Die Stimmung ist voll entspannt, deshalb sind auch alle so gut drauf. Das gibt’s nicht oft.“
Aber wieso hat die Party eigentlich eine so frühe Sperrstunde? Dürfen Mamas nicht länger Spaß haben? „Dass um 23 Uhr Schluss ist, stört unsere Gäste eigentlich nicht. Die sind nach drei Stunden tanzen nämlich so groggy, dass sie gerne heimgehen“, plaudert Elisa aus, die nach dem letzten DJ-Takt aber noch nicht gleich ans Heimgehen denken kann. Zuerst muss aufgeräumt werden, erst dann geht’s zurück Richtung Reutte, wo Elisa und Christine mit ihren Familien leben. Und die kommenden „Mama geht tanzen“-Events planen. Geworben dafür wird nicht nur auf Instagram, sondern auch in Kindergärten und Spielzeuggeschäften. Wo man halt so auf Mamas trifft.
Wobei der Mutter-Kind-Pass definitiv keine Voraussetzung ist, um Teil der stetig wachsenden „Mama geht tanzen“-Community zu werden. Zu dieser zählt auch die 42-jährige Christiane aus Imst, die im Glitzertop und mit einer Freundin im Schlepptau angetanzt kommt, weil im Oberland am Abend rein gar nix los ist. „Ich hab zwar kein Kind, aber ich bin Hundemama. Das gilt auch“, lacht sie. Und tanzt weiter. Aber wer schaut grad auf den Wauwau? „Meine Mama.“
AutorIn: Christiane Fasching
Foto: Kookie Kollective