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Unlearn

Männlichkeit

Wie schwierig es ist, angelernte Verhaltensmuster gegenüber FLINTA*s (Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre und agender Personen) – von sexistischen Äußerungen und Machogehabe bis zu körperlichen Übergriffen – zu durchbrechen, erleben Teilnehmer der kritischen Männlichkeit_en Gruppe als lebenslanges Lernen und andauernden Prozess.a

Xava möchte nichts Falsches sagen, formuliert bedächtig, wägt seine Worte ab. Der junge Mann hat ein einnehmendes Wesen, doch seine Person in den Vordergrund stellen will der Aktivist genau nicht. Auch das Wort Aktivismus mag er nicht: Es geht ihm nicht um punktuelle, öffentlichkeitswirksame Aktionen, sondern um eine Lebenseinstellung. „Aktivismus durchdringt dein ganzes Leben“, bemerkt er. Es liegt ihm am Herzen, die Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwird, für seine Anliegen zu nutzen. Über gesellschaftlich sozialisierte Verhaltensweisen nachzudenken, lohnt sich, davon ist er überzeugt. Seit 2022 organisiert sich Xava einmal pro Woche mit anderen (Cis-)Männern¹ aus der linken Bewegung Innsbrucks in der kritischen Männlichkeit_en Gruppe. Die Entstehung der selbst organisierten Gruppe ist keine ganz freiwillige. Man trifft sich vor allem deshalb, weil FLINTA*s  aus ihrem Umfeld ein Ultimatum gestellt haben: Um weiterhin gemeinsam objektiv und zielführend an politischen Projekten arbeiten zu können, müssten sich die Männer mit ihrem oftmals übergriffigen Verhalten auseinandersetzen.

¹ Kurz und knapp: Cis-Mann ist, wer als Mann wahrgenommen wird und sich mit dem von außen zugeschriebenen Geschlecht identifiziert.

„Allgemeines Wissen ist super, aber meistens wird es in einem Buch keine konkrete Lösung für mein individuelles Scheißverhalten geben.“

Xava

Angelernte Verhaltensmuster.

Xava war von Anfang an dabei, weil er richtig und wichtig findet, sich über die eigene privilegierte Rolle als Mann im Patriarchat bewusst zu werden und anerzogene, gelernte, problematische Verhaltensmuster zu dekonstruieren und schlussendlich abzulegen. Jedoch musste der 28-Jährige bald feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, sich für eine geschlechtergerechte Gesellschaft einzusetzen: „Wir haben viele Fehler gemacht und sind an der Umsetzung der Forderungen unserer FLINTA*-Genoss:innen gescheitert“, erinnert er sich an die desaströsen ersten Treffen, bei denen eigentlich keiner so richtig Bock hatte, sich mit dem eigenen problematischen Verhalten auseinanderzusetzen. „So oft haben wir peinlich berührt geschwiegen, Ausflüchte gesucht, um den heißen Brei herumgeredet und uns auch untereinander ziemlich zerstritten.“

Zunächst begann die Gruppe, sich mit Konzepten von Mann und Männlichkeit_en als Teil der Geschlechterforschung auseinanderzusetzen. Diese interdisziplinäre Wissenschaft untersucht das Thema mit psychologischen, historischen, sozial- und erziehungswissenschaftlichen Ansätzen. Wer sich mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen und Männlichkeitskonstruktionen beschäftigt, entdeckt schnell, wie sehr der gesamte Alltag von männlichem Alpha-Denken beeinflusst wird – sei es eine dominante Redekultur, das Breitmachen und Raumeinnehmen von Männern in den Öffis oder die geringe männliche Beteiligung an Care-Arbeit und im Haushalt.

Das betrifft keineswegs nur den privaten Raum, sondern auch den öffentlichen, wie das Beispiel Aktivismus nur allzu deutlich macht. Dass das Private hochpolitisch ist, war schon eine Erkenntnis der feministischen Bewegung der 1970er-Jahre. „Es ist anstrengend, unangenehm und mit Scham behaftet, sich mit dem Patriarchat und seinen konkreten Auswirkungen auseinanderzusetzen, von denen man selbst profitiert“, resümiert einer aus der Gruppe.

„Anfangs war es gar nicht leicht, sich einander zu öffnen, über unsere Gefühle zu sprechen. Über solche intimen Themen sprechen Männer selten, am ehesten noch mit der besten Freundin oder der Partnerin, aber so was in einer Männergruppe zu besprechen, war echt ungewohnt.“

Xava

Plötzlich keine Lappalie mehr.

So weit die Theorie. Doch dann häuften sich auch in der Innsbrucker Szene die Übergriffe gegenüber FLINTA*s – sowohl verbaler als auch körperlicher Art. „Übergriffiges und diskriminierendes Verhalten fand auch in unserem direkten Umfeld statt“, bedauert Xava. Niemand, der sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzte – oder dies zumindest vorgab – konnte jetzt noch Ausflüchte anbringen. „Da Gewalt gegen Frauen, Mädchen und Queers fast ausschließlich von (Cis-)Männern ausgeht, mussten wir uns aktiv mit unserer Gewalt, aber auch mit Täter:innenschutz beschäftigen.“ Es reichte nicht mehr, sich nur theoretisch mit Themen wie sexualisierter Gewalt zu beschäftigen. „Ein Buch zu lesen, ist eine praktische Ausrede, sich nicht mit konkreten Sachen, meinem konkreten Verhalten oder aktuellen Geschehnissen auseinanderzusetzen“, sagt der Lehramtsstudent. „Allgemeines Wissen ist super, aber meistens wird es in einem Buch keine konkrete Lösung für mein individuelles Scheißverhalten geben.“

Von den FLINTA*s gab es nun eine Liste mit konkreten Verhaltensweisen, die in der Gruppe besprochen und umgesetzt oder bearbeitet werden sollten. Neben dem gemeinsamen Lesen von Essays und wissenschaftlichen Aufsätzen begannen die Zusammenkünfte ab jetzt mit einer Vorstellungsrunde, in der die Anwesenden ihre Erlebnisse der Woche und ihre Gefühle dazu teilen konnten. „Anfangs war es gar nicht leicht, sich einander zu öffnen, über unsere Gefühle und unser übergriffiges Verhalten zu sprechen. Über solche intimen Themen sprechen Männer selten, am ehesten noch mit der besten Freundin oder der Partnerin, aber so was in einer Männergruppe zu besprechen, war echt ungewohnt“, gibt er zu. Doch mit der Zeit ist es der Gruppe immer besser gelungen, andere Gefühle als Wut zuzulassen und sogar Ängste mit den anderen zu teilen. Da dieser praktische Teil der Treffen viel Zeit in Anspruch nimmt, ist mit circa sieben Personen auch die maximale Teilnehmerzahl erreicht. Schließlich soll ja auch noch Raum sein, um sich konkret mit anstehenden Vorkommnissen auseinanderzusetzen und sich theoretisch weiterzubilden.

„Wir haben viele Fehler gemacht und sind an der Umsetzung der Forderungen unserer FLINTA*-Genoss:innen gescheitert.“

Xava

Feministische Aktionen unterstützen.

Der FLINTA*-Forderungskatalog sei mittlerweile abgearbeitet, und gerade gehe es darum, sich als Gruppe neu zu positionieren. Neben Offenheit für Kritik und dem Finden gemeinsamer Lösungsansätze für die zukünftige Zusammenarbeit stelle sich die Frage nach der Rolle der Männer bei gemeinsamen feministischen Aktionen. Einer ihrer Ansätze ist es, an politischen Aktivitäten gegen patriarchale Gewalt mitzuwirken, um die allgegenwärtige Diskriminierung sichtbarer zu machen, etwa am 8. März, dem feministischen Kampftag. Weitere Aktionsfelder sind die Bewegung gegen Feminizide, Frauen*häuser-Initiativen oder Gewaltschutzprogramme, denen die Gruppe ihre Unterstützung anbieten könnte.

Auch die gewonnene Bewusstheit nach außen zu tragen, sei eine Option, die sich nun auftue. Bisher fand ein Diskussionsabend im Café Lotta statt, bei dem die Gruppe sich vorstellte, um über ihre Reflexionen und (Miss-)Erfolge zu berichten.

„Eigenes gewaltvolles Verhalten zu beenden, ist zwar ein erster Schritt, reicht jedoch nicht aus – denn wie jedes gesellschaftliche Problem kann auch patriarchale Unterdrückung nur kollektiv überwunden werden“, betont Xava. Die gemeinsame gesellschaftspolitische Freiwilligenarbeit habe sein Leben von Grund auf verändert und bereichert. Deshalb will er die regelmäßigen Treffen unbedingt beibehalten, um gemeinsam Selbstreflexion zu betreiben und kollektiv ins Handeln zu kommen. Sich derart zu organisieren, legt er allen Männern ans Herz.

Mehr Informationen: linksvominn.noblogs.org, @cafelotta_ibk

Ein Auszug aus dem FLINTA*-Forderungskatalog für die Dekonstruktion der eigenen Männlichkeit

  • Lerne, Kritik anzunehmen
  • Nicht gschaftln!!!
  • Raushalten ist keine Option! Bring dich ein!
  • Informier dich darüber, was profeministisch ist und was nicht
  • Bitte nicht jammern über die Arbeit zu Übergriffen. Eure Privilegien sind schuld daran!!
  • Keine Gerechtigkeit ohne die betroffene Person herstellen!
Text: Verena Wagner
Foto: Franz Oss