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Fototagebuch

eines Trampers

Als Gábor Van Tolna 2013 auf der Panamericana von Alaska in Richtung Südpol aufbricht, ahnt er noch nicht, dass seine Reise zehn Jahre dauern wird. Hätte er’s geahnt, wäre er bestimmt trotzdem los. Nun startet er in sein nächstes Abenteuer: Per Kajak über den Inn in die Ägäis – aber mit Umweg in die Ukraine, um Spenden zu sammeln.

19 Länder in 2 Jahren, 7 Monaten und 26 Tagen hatte Gábor Van Tolna bis Mitte April 2016 schon besucht, und zwar dank Boots- und Autostopp. Dann blieb er eine Weile in Panama City, jobbte als Deutschlehrer und gönnte sich immer wieder Trips nach Costa Rica. Als 6020 ihn zum ersten Mal
online traf, eruierte der gebürtige Innsbrucker gerade, wie sich die berüchtigte Darién-Lücke zwischen Panama und Kolumbien wohl überbrücken ließe: Hier ist das durchgehende Straßennetz, das Alaska mit dem Feuerland verbindet, unterbrochen.
„Die Region gilt nach wie vor als gefährlichster Dschungel der Welt: Immer wieder flammen Kämpfe zwischen dem Militär und den Rebellengruppen auf“, erzählt Van Tolna damals. Und abgesehen davon ist ein Regenwald kein gemütlicher Ort, um die pure Natur zu genießen. Wer weder heiß-feuchtes Klima und Macheten im Dickicht mag noch über ausgeprägte Orientierungs-Skills verfügt, sollte einen Bogen darum machen. Bis wir aber erfahren, wie es damals weiterging, ziehen neun Jahre ins Land. Und da der heute 38-Jährige seine Jugend, Fitness und Zeit lieber in ein neues Projekt investieren will statt ins Schreiben von Abenteuerbüchern, müssen wir mit einer knackigen, aber aussagekräftigen Fotoauswahl als Rückblick vorliebnehmen.  

Und 6020 freut sich auf ein Wiedersehen: Hier geht’s zur Story vom Mai 2016

Sommer/Herbst 2016:

Neue Kajakliebe

„Ich bin seit acht Monaten in Panama. Ich habe nun eine offizielle Genehmigung des Militärs, um den Darién zumindest zu betreten, aber es ist kompliziert, da es aktuell wieder Kämpfe gibt. Also beschließe ich, wenigstens ein kleines Stück in den Dschungel hineinzugehen, bis ich an den Checkpoints zurückgewiesen werde. Das reicht immerhin, um einen Wasserfall hochzuklettern. Um die ganze Region zu Fuß zu überqueren, bräuchte ich drei Monate. Und müsste die Machete alle paar Stunden nachschleifen, um den Weg überhaupt freizuschneiden. Besser, ich ändere meinen Plan, kehre nach Panama City zurück und suche eine Mitfahrgelegenheit auf dem Wasserweg. Dafür hänge ich ein paar Abrisszettel aus, und tatsächlich ruft jemand an, der sogar deutsch mit Wiener Akzent spricht. Und mich auf einem wunderbaren Segelboot mit nach Ecuador nehmen kann. Der Pazifik ist bei unserer Überfahrt leider sehr unruhig, mit hohem Wellengang, Tag und Nacht. Darum halten wir in Tumaco an, dem letzten kolumbianischen Kleinhafen. Der Vollständigkeit halber stoppe ich noch die Panamericana bis zum südlichen Ende des Darién wieder hoch. Eine Mitfahrgelegenheit erzählt mir von seiner Tante, die dort im Dschungel lebt, und sich über jeden Besuch freut. Und zwar so sehr, dass meine Freundin und ich eine Weile bei ihr auf ihrer Farm wohnen können. Bis mich ein Bekannter aus Alaska kontaktiert, der gerade auch in Kolumbien ist. Wir treffen uns in Capurganá an der karibischen Küste. Dort überlässt er mir für ein paar Wochen sein aufblasbares Kajak. Nach anfänglicher Skepsis und einigen Handblasen freunde ich mich mit dieser Art zu reisen an und bin damit noch 36 Tage an der Küste unterwegs. Lege insgesamt 350 Kilometer zurück. Dabei habe ich das vorher nie gemacht.“


2017:

Von der Karibik auf die Anden

„Nach Kolumbien geht’s weiter nach Ecuador, Peru, Bolivien und Chile. In Peru trenne ich mich von meiner Freundin, die mittlerweile in Kanada einen Job hat. Was nun? Ich lasse mir meine Bergausrüstung nach Chile schicken und bereite mich auf eine Expedition auf den Aconcagua vor. Dafür sammle ich vorher alles an Drei-, Vier-, Fünf- und Sechstausendererfahrung wie nur möglich – der Aconcagua ist nämlich mit 6.961 Metern der höchste Berg Südamerikas. Dazwischen arbeite ich in einem Hostel, wo ich eine Gruppe Bergsteiger:innen kennenlerne. Sie wollen ebenso auf den höchsten Berg der Anden und haben in Eigenregie bereits Eintritte, Verpflegung, Transporte etc. zu einem sehr günstigen Preis organisiert. Und fragen mich, ob ich mitwill. Wohlgemerkt: Eine solche Expedition dauert zwei Wochen und ist nicht unter 3.000 Euro buchbar … während es mich dank dieser Bergenthusiast:innen weniger als die Hälfte kostet? Klar bin ich dabei! Der andine Wettergott meint es allerdings nicht so gut mit uns. Auf einer Höhe von 5.200 Metern sind Schneefall und Wind zu stark. Wir müssen abbrechen.“


2018:

Vollgas Südamerika

„An der Grenze von Guyana zum Surinam lerne ich einen Franzosen kennen, der sich in Kolumbien ein Motorrad gekauft hat. Nun will er damit weiter nach Französisch-Guyana, weil er dort lebt. Er nimmt mich mit auf seinem Bike und wir werden Freunde. Doch wir haben ein Problem: Die Landesgrenzen führen über unendlich scheinende Flussmündungen. Der offizielle Weg, um sie mit einem neu gekauften Motorrad zu überqueren, geht über Fähren. Der Fährenverkehr ist aber seit Monaten unterbrochen. Die Alternative? Das Motorrad auf ein Motorboot packen und losschippern. Ich helfe meinem Reisekumpel bei diversen Behördengängen als Übersetzer. Deren Fazit, sehr salopp zusammengefasst: Wir müssen das gute Ding über zwei Grenzposten schmuggeln. Beim ersten werden wir durchgewunken – an dem Tag ist es einfach zu heiß für Kontrollen. Beim zweiten Posten klappt’s auch, kurz darauf droht uns aber ein Beamter mit dem Knast. Als er jedoch die Maschine genauer anschaut, ändert sich seine Miene schlagartig. Er besitzt das gleiche Modell und lässt uns durch. Als Dank für meine Hilfe darf ich noch eine Weile beim Franzosen wohnen. Später stoppe ich den Amazonas rauf. Erlebe in Manaus ein großes Gratisfestival mit CeeLo Green von Gnarls Barkley: den haben sie zum festlichen Anlass extra eingeschifft, weil er Flugangst hat. Und gönne mir noch einen längeren Aufenthalt in Venezuela, um den Tafelberg Roraima zu besteigen.“


2019:

Unruhen in Chile

„Ich bin nun in Santiago de Chile. Da das Land territoriale Ansprüche auf die Antarktis hat, will ich mich von hier aus um eine Genehmigung für den Südpol kümmern. Doch es gibt scharfe Proteste, Ausgangssperren und Militäreinsätze. Es wird immer krasser. Solche Szenen wie auf dem Foto erlebe ich fast täglich auf dem Weg zur Arbeit. Gegen Tränengas gehe ich nicht mehr ohne Zitronen aus dem Haus: Einfach draufbeißen, dann brennt’s nicht im Hals.“


2020/21:

Ziel erreicht

„Bekannte empfehlen mich für einen Job als Leiter auf einem Expeditionsschiff in Südpatagonien – eine ideale Option, weil ich aus Santiago und den Unruhen wegwill. Den Job bekomme ich tatsächlich, aber nur unter einer Bedingung: Ich darf bis Punta Arenas in Chile runterstoppen. Damit erreiche ich auch mein anfängliches Ziel, die ganze Panamericana per Anhalter zu bereisen. Die Arbeit ist hart, gefällt mir aber richtig gut. Ich begleite Expeditionen durchs ganze Feuerland, Patagonien und Kap Hoorn. Auf diesem Foto bin ich vor dem Condor-Gletscher im Nationalpark Agostini. Es ist viel Arbeit mit wenig Freizeit, aber ich darf mich überall einlesen, weil ich als Leiter quasi alles wissen muss: über lokale Geologie, Geschichte, Botanik usw. Um längerfristig auf solchen Schiffen zu arbeiten, absolviere ich noch eine obligatorische Ausbildung … und dann kommt die Pandemie. Der Lockdown kommt ausgerechnet während einer Expedition. Wir sind 120 Personen auf dem Schiff und dürfen für zehn Tage nicht an Land. Quarantäne halt. Nun ist die Saison vorbei. Ich ziehe vorerst nach Santiago zurück und freue mich aufs Klettern. Bin halt doch ein Tiroler. Dank Bumble lerne ich auch meine neue Freundin kennen.“


2022:

Abstecher aufs Land

„Wir ziehen weg aus Santiago nach Valparaíso. So ein Farmleben wäre was für uns, aber hier ist es nicht ideal. Der Wasserverbrauch für den Anbau von Avocados ist sehr hoch – wir suchen was anderes. Und landen weiter südlich in Patagonien, finden eine Farm und wollen uns ein Leben mit Alpakas aufbauen. Mit von der Partie sind noch fünf Hühner, zwei Hunde, eine Katze und elf Bienenstöcke für eigene Naturkosmetik. Aber: Um mehr Geld zu verdienen, beschließe ich noch mal, als Expeditionsleiter zu arbeiten. Dafür muss ich für acht Monate am Stück weg. Unsere Beziehung leidet sehr darunter – zu sehr.“


2023:

Zurück nach Innsbruck

„Es ist schon 23 Uhr, als ich an diesem Abend im Oktober wieder in Innsbruck bin. Ich stehe vor dem Wohnkomplex, in dem meine Eltern leben. Da mein Opa gestorben ist, während ich weg war, habe ich beschlossen, wieder heimzukommen. Ich will Zeit mit meiner Familie verbringen. Aus sicheren Quellen weiß ich, dass auch meine Schwester gerade zu Besuch ist. Sie alle ahnen noch nicht, dass ich bald vor der Wohnungstür stehe und klingele. Keine Angst, sie bleiben abends immer länger auf, so muss ich sie nicht aus dem Schlaf reißen. Ihre überraschten Reaktionen habe ich mit dem Handy gefilmt.“


2025:

ArgoB

Gábor Van Tolna hat nun sein nächstes Abenteuer geplant: Am 15. Juli startet er mit einem aufblasbaren Kajak von Innsbruck nach Passau. Hier wechselt er auf die Donau, um bis zur Ukraine zu fahren. Von dort will er stoppend über die Türkei nach Armenien, Aserbaidschan und Georgien. Anschließend geht’s nach Zypern, wonach er wieder über die Türkei nach „Troja“ will. Von dort geht’s in bester Odysseus-Manier über die Ägäische See nach Itaka, und zwar wieder rudernd mit einem Kajak namens ArgoB. „Dieses Projekt will ich einem guten Zweck widmen und Spenden für Projekte sammeln, die Flüchtlinge unterstützen. Vor allem jene, die die Meere auf schwindligen Floßen überqueren, weil sie keine andere Wahl haben“, sagt Van Tolna noch abschließend.

Mehr Infos zu Gábors Reisen gibt’s auf Insta unter hitchhikingthroughparadise

Text: Marianna Kastlunger, Fotos: Privat