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Das Büro im Käfig

Blutiger Straßenkampf oder technisch anspruchsvolle Kampfkunst? Die Meinungen zu Mixed Martial Arts (MMA) gehen auseinander. Hannes Auderer jedenfalls steht kurz vor der Profikarriere. Und wenn er nicht gerade auf Kontrahenten im Käfig einprügelt, geht er einem Bürojob bei den ÖBB nach und studiert Wirtschaft.

Es riecht nach Schweiß, als wir die mit Matten ausgelegte Halle betreten. Hannes Auderer schüttelt uns freundlich die Hand zur Begrüßung. Sein Händedruck ist fest – wenig überraschend, denn er ist MMA-Kämpfer. Bei Mixed Martial Arts wird getreten, geschlagen, geklammert, geworfen und auch am Boden gekämpft. Erst im Feber wurde der gebürtige Landecker, der in Innsbruck wohnt, Amateur-Staatsmeister. Sein nächster Kampf steigt bei der Innferno Fighting Championship am 21. Juni im Congress. Das dürfte dann auch Auderers letzter Amateur-Fight sein. Er will nämlich so schnell wie möglich Profi werden.

Mit Sixpack zu innerer Ruhe.
Wie der heute 30-Jährige vor mehr als zehn Jahren zum MMA kam, ist eher tragisch: „Ich bin ausgegangen und ein Typ hat mich aus dem Nichts auf den Boden geworfen und mich in die Scherben gedrückt. Ich war komplett wehrlos.“ Daraufhin beschloss er, einen Selbstverteidigungskurs zu besuchen, durch den er schließlich zum MMA kam. Doch nicht nur sein Sixpack zeugt vom Training, auch sein Auftreten tut es: „Ich bin viel ruhiger geworden.“ Und obwohl er laut eigener Aussage seine Techniken nur zur Selbstverteidigung und zur Verteidigung anderer einsetzen würde, mache ihn schon das Wissen über sein Potenzial selbstsicherer.

Zweimal am Tag, sechsmal die Woche.
Beruflich ist Hannes Auderer Teilzeit bei den ÖBB als Fahrdienstleiter angestellt. Vollzeit studiert er Wirtschaftswissenschaften. Mit MMA füllt er einen Großteil seiner restlichen Zeit. Was auf den ersten Blick einen interessanten Kontrast herstellt und ein wenig an den Protagonisten im Film „Fight Club“ erinnert, ist aber keine Ausnahme: „Wir haben viele Akademiker:innen und Ärzt:innen im Verein.“ Das führt er auf den Ausgleich zurück: „Manche gehen nach der Arbeit joggen oder ins Fitnessstudio, aber da hat man oft noch etwas im Hinterkopf. Bei MMA muss man loslassen, sonst kriegt man ins Gesicht geschlagen.“ Ins Training geht Auderer zweimal am Tag, von Montag bis Samstag. Dazu gehören Kraft- und Ausdauertraining und MMA-Classes im MMA-Innsbruck-Gym. Vor allem beim Kämpfertraining geht es zur Sache: „Das ist kein Streicheln mehr.“

Mixed Martial Arts

Beim MMA wird mit Schlag- und Tritttechniken sowie Bodenkampf- und Ringtechniken gekämpft. Ziel ist es, die jeweiligen Gegner:innen derselben Gewichtsklasse zu besiegen – durch Knock-out, technisches Knock-out oder Aufgabe. Auch ein Sieg nach Punkten ist möglich. Im Amateurbereich werden drei Runden mit je drei Minuten Länge gekämpft. Als Ausrüstung dienen ein Zahnschutz, ein Tiefschutz und dünne Handschuhe. Schienbeinschützer und dickere Handschuhe werden von Anfänger:innen und im Training getragen.

„Ich war komplett wehrlos.“

Hannes Auderer

Und das sieht auch ein Laie, als Hannes Auderer und sein Sparringpartner Umid Husseini in den Käfig aus Maschendrahtzaun steigen. Der Fight Timer piept, es folgt ein kurzes Abklatschen und schon landet die erste Faust im gegnerischen Gesicht. Ich erschrecke, nicht aber der Getroffene, der sein Gegenüber von den Beinen holt und mit ihm am Boden weiterringt. Minutenlang sind dumpfe Schläge zu hören – und dazwischen unaufgeregte Anweisungen vom Coach, der von außen am Käfig lehnt. Als der Timer das letzte Mal piept, lassen sich beide schweißnass zu Boden fallen, starren an die Decke und versuchen, ihren Atem in den Griff zu bekommen.

Von Kopfverletzungen und „Zieherchen“.
Die Vorurteile, dass MMA brutaler Straßenkampf à la „Fight Club“ ist, will Auderer aber nicht gelten lassen: „Im MMA gibt’s ein komplexes Regelwerk. Viele Leute sagen, MMA sei so brutal. Bei uns gibt es aber viel weniger Gehirnerschütterungen als im Boxen. Weil unsere Handschuhe so klein sind, haben wir halt schnell Cuts und Beulen.“ Angst vor schwerwiegenden Verletzungen hat er nicht: „Verletzungen gibt es schon, weil man oft die Lage wechselt. Da passieren schnell Bänderverletzungen. Der Trick ist, gut auszuheilen.“ Im Training hat er sich schon beide Außenbänder gerissen, trägt heute noch Bandagen. „Zieherchen“, also Kleinigkeiten, würden ohnehin dazugehören. Von schweren Kopfverletzungen will er nichts wissen: „Im Käfig ist noch nie einer gestorben.“ Das mag stimmen, dafür aber einige nachher im Krankenhaus. Zugegeben: Das trifft auch auf andere Kampfsportarten zu.

„Bei MMA muss man loslassen, sonst kriegt man ins Gesicht geschlagen.“

Hannes Auderer

Aus Niederlagen lernen.
Alle zwei bis drei Monate bestreitet Hannes Auderer einen Kampf. „Unmittelbar davor muss ich mir immer wieder einreden, dass es in Ordnung ist, wenn ich verliere. Sonst mache ich mir sinnlos Druck. Beim Kampf höre ich nur noch den Coach.“ Auf die Frage, was sein bisher wichtigster Kampf war, antwortet Auderer ohne Zögern: „Das war meine einzige Niederlage, vor zwei Jahren bei der Innferno. Mein Gegner hat mir in der zweiten Runde so einen harten Highkick auf den Kopf gegeben, da war ich selbst stolz auf mich, dass ich nicht k. o. gegangen bin.“ Den Kampf hat er verloren, aus dieser Niederlage aber viel gelernt, etwa wie man damit umgeht und wie man sich auf einen Kampf vorbereiten muss. „Die Siege waren oft leicht, so blöd das klingt. Die Niederlage hat richtig wehgetan – also emotional, physisch sowieso.“

Innferno Fighting Championship

Die neunte Auflage der Innferno Fighting Championship findet am 21. Juni statt. Gründer und Geschäftsführer ist Hannes Schneider. Er veranstaltet das Event seit 2015. Neben mehr als zehn Kämpfen wird den 1.800 Zuschauer:innen auch eine Feuershow und ein VIP-Bereich geboten. Das Profi-Event wird durch ausgewählte Amateurkämpfe ergänzt.

„Im Käfig ist noch nie einer gestorben.“

Hannes Auderer

MMA-Ibk

Mit 350 Mitgliedern ist MMA-Ibk laut Vorstandsmitglied Hannes Schneider das größte Gym in Westösterreich. Die Männerquote betrage zwar
70 Prozent, aber auch die Frauenkurse seien gut ausgebucht. Generell bestreitet nur ein kleiner Prozentsatz der Mitglieder auch Kämpfe, der Rest hält sich mit dem
Training fit.

Text: Markus Wechner
Fotos: Franz Oss