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An den Nadeln

hängen

Trendhobby Stricken: Sophie Scarf hier, Sock Madness da, selbst im Kino greift die Woll-Lust um sich. Für die bunte Strickrunde, die sich allwöchentlich im Café Central trifft, ist der Hype ein alter Hut. Sie „knitten“ und „purlen“ hier schon seit mehr als zehn Jahren. Weil’s Spaß macht. Und verbindet.

Im Café Central gibt’s einen kleinen Wickel. Ausgelöst durch den Begriff „kreativ“, den Steffi partout nicht in den Mund nehmen will, wenn’s ums Stricken geht. „Ich folg da ja einer Anleitung. Das ist doch nicht kreativ“, wirft die werdende Mutter überzeugt in die Runde. Elisabeth sieht das ähnlich. „Meditativ trifft’s eher“, sinniert die Pensionistin und vertieft sich wieder in einen halbfertigen Socken. „Stricken ist sehr wohl kreativ: Es ist eine Möglichkeit, sich auszudrücken. Außerdem produziert man etwas, das es in keinem Geschäft zu kaufen gibt“, kontert Karin, die Knit-Fluencerin der meinungsstarken Runde, die sich jeden Mittwoch im Café Central trifft, um zu stricken und zu quatschen.
Dass sich die Strickgemeinschaft da manchmal auch in die Wolle kriegt, wird mit Humor genommen. „Wir sind eine bunt gemischte Gruppe mit verschiedensten Berufen, unterschiedlichen Interessen und eigenständigen politischen Meinungen. Aber das Stricken vereint uns“, sagt Steffi, als sich der kurze Kreativ-Konflikt wieder gelöst hat. Im Einklang wird nun nahe der Kuchentheke weitergestrickt, dass die Nadeln nur so klimpern und so mancher Kaffeehausgast neugierige Blicke Richtung Handarbeits-Kollektiv wirft.

„Die Stricksprache ist Englisch. Wenn man uns zuhört, könnte man meinen, dass da ein paar Computer-nerds beisammen sitzen.“

Snit-Fluencerin Karin
(Insta: rocksheep_wolle)

Kunterbunter Knäuel.

Aber wie kam’s eigentlich dazu, dass aus Einzelstrickerinnen ein Knäuel wurde? Ein Knäuel, der mittlerweile auch zusammen Geburtstage feiert oder auf Urlaub fährt. Und wo sind hier die Männer? Oder ist das eine Only-Women-Chose? Margit klärt auf. Schließlich war sie es, die dereinst die Idee hatte, eine Strickgruppe ins Leben zu rufen. Auf der Onlineplattform ravelry.com –
ein Eldorado für Handarbeitsfans aus der ganzen Welt – suchte sie vor nunmehr 14 Jahren nach Gleichgesinnten. „Ich war so neidisch, dass es in Wien schon etliche solche Gruppen gab, und wollte das unbedingt auch in Innsbruck auf die Beine stellen“, sagt die 35-Jährige, die mit ihrer Sehnsucht nicht allein war. Bald gab’s also ein strickendes Dreigespann, das sich zunächst in der „Bäckerei“ traf, später ins Café Gritsch übersiedelte, ehe 2013 dann das Café Central zum Fixpunkt für Menschen mit Maschenfaible wurde. Sprich: In der Strickrunde sind alle Geschlechter willkommen. Nur gibt’s in Innsbruck offenbar noch nicht viele Männer, die gern an den Nadeln hängen. „Wir hatten schon mal kurzzeitig zwei Männer dabei. Aber die sind beide in die USA ausgewandert“, erklärt Margit. „Wir haben sie aber nicht hinausgegrausigt. I schwör!“, wird Elisabeth etwas lauter. Der leise Verdacht: Die Gruppe wäre durchaus offen für ein bisschen Testosteron. Stricken ist schließlich genderneutral.

Nur nicht den Faden verlieren.

In Wien ist Stricken neuerdings auch großes Kino. Und zwar buchstäblich. Seit Dezember 2024 lädt das Votivkino in der Währinger Straße an einem Sonntag im Monat zur Reihe „Stricken im Kino“. Die Idee dazu stammt von Judith Haslöwer und Luisa Palmer, die beide im Votivkino arbeiten und obendrein leidenschaftlich gern stricken. „Stricken ist ja schon länger ein Hype. Und die Idee, das auch im Kino zu ermöglichen, gibt’s schon in vielen anderen Städten: Das hat uns inspiriert, das auch hier umzusetzen“, sagt Luisa, die mit ihrer Kollegin „viel Herzblut und Liebe“ in die Umsetzung des cineastischen Strick-Events gesteckt hat. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Der knapp 180 Leute fassende Saal ist immer knallvoll, wenn mit Blick auf die Leinwand gestrickt wird. Aber sieht man im Kinodunkel überhaupt, was man tut? Und besteht nicht die Gefahr, dass man da wie dort den Faden verliert?

„Das Saallicht wird dann natürlich nicht ganz runtergedimmt. Außerdem zeigen wir weder düstere noch total komplizierte Filme. Auf dem Programm stehen meistens englische oder deutsche Wohlfühlfilme, die man vielleicht schon mal gesehen hat. Damit man auch mitkommt, wenn das Strickstück mal Vorrang hat“, erklärt die 32-Jährige, die von dem anhaltenden Ansturm noch immer überrascht ist. Die Altersspanne im Saal ist dabei enorm: Teenager stricken genauso wie Ruheständler:innen. Nur Judith und Luisa kommen nicht dazu, ihrem Hobby nachzugehen. Luisa lacht: „Es ist immer so viel los, dass wir im Kino noch gar nicht zum Stricken gekommen sind.“

Übrigens: Auch in Innsbruck wurde bereits im Kino gestrickt. Und zwar im Metropol. „Aber die Filme liefen immer nur am Nachmittag. Für arbeitende Leut ist das halt eine blöde Zeit“, sagt Margit, die – wie ihre centralen Mitstrickerinnen – mehr als offen für die Einführung einer cineastischen Knit-Night wäre. Bei Mario Hueber, dem Geschäftsführer vom Metropol-Kino, stößt sie damit auf offene Ohren. „Die Stricknachmittage im Kino waren damals privat organisiert. Wenn sich wieder jemand findet, der mit so einer Idee an uns herantritt, dann sind wir da grundsätzlich ganz offen“, sagt Hueber. Wohlfühlfilme gäb’s ja zur Genüge und an der strickenden Zielgruppe dürfte es auch nicht mangeln.

Knitting is a science.

Zurück im Café Central, zückt Karin gerade ihre Edelstahlnadeln, die sie in einem schmucken Etui verstaut hat. Knapp 180 Euro kosten die Dinger. „Stricken ist kein billiges Hobby: Ein gutes Knäuel Wolle kostet gerne mal 20 Euro. Bei einem Pulli bist du da allein mit den Materialkosten bald mal bei mehreren 100 Euro“, sagt Karin, die in ihrer Freizeit selber Wolle färbt, Strick- und Häkelanleitungen schreibt und verkauft und auf Instagram unter @rock-sheep_wolle ihre Leidenschaft zur Schau trägt. Dass das Stricken sein angestaubtes Image längst verloren hat, ist laut Karin in erster Linie dem World Wide Web zu verdanken. „Die Anleitungen, die man im Internet findet, haben überhaupt nichts mehr mit dem Stricken unserer Omas zu tun. Es eröffnen sich jetzt unfassbar coole Möglichkeiten, die es früher einfach nicht gab“, sagt sie und vertieft sich wieder in eine Anleitung, die ob ihrer Komplexität den Laien mehr als ratlos zurücklässt. Nichts da mit zwei links, drei rechts. Knitting is a cience.
„Die Stricksprache ist Englisch. Wenn man uns zuhört, könnte man meinen, dass da ein paar Computernerds beisammen sitzen“, lacht die Knit-Fluencerin. Steffi lacht auch. Nämlich über sich selbst und ihre Tendenz, laut vom „Knitten“ und vom „Purlen“ zu reden. Noch lieber spricht sie aktuell aber grad über die „Sock Madness“, bei der Teile der Gruppe ganz fanatisch mitmischen. Die Vorrunde zum Sockenschnellstrick-Wettbewerb ist bereits geschafft. Jetzt müssen „nur“ noch sieben weitere Runden überstanden werden, damit man am Ende dann was eigentlich gewinnt? „Die Ehre“, sagt Steffi. Und lacht schon wieder. Knitting is obviously fun too!

Trendiges Schneuztüchl.

Für Mette Wendelboe Okkels ist Stricken obendrein ein Megageschäft. Die dänische Designerin, die hinter dem erfolgreichen Label „PetiteKnit“ steckt, entwirft und verkauft seit knapp zehn Jahren Strickmuster für Frauen, Männer und Kinder jeden Alters. Und hat sich damit eine goldene Nase verdient. So geht die Anleitung für den europaweit gehypten „Sophie Scarf“ auf ihre Kappe: Das putzige Strickhalstuch in Mini-Schalform hat sich in den vergangenen Monaten zum Must-have für Fashionistas gemausert und Okkels’ Kontostand damit noch weiter nach oben getrieben. Denn arm war die Dänin, der auf Instagram mehr als 1,2 Millionen Menschen folgen, davor auch nicht.

Im Café Central schneidet der „Sophie Scarf“ indes nicht so prächtig ab. „Das ist doch nur ein Schneuztüchl“, moniert Steffi. „Ein totales Anfängerding“, ereifert sich Elisabeth. „Unter unserer Würde“, resümiert Karin. So was bekämen die woll-lustigen Damen auch mit geschlossenen Augen hin. Oder unterm Tisch beim nächsten Teams-Meeting.

Text: Christiane Fasching
Fotos: Franz Oss