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A knappe G’schicht

Viel weniger Gift in der Luft: Dafür hat die Europäische Union ehrgeizige Ziele formuliert. Wissenschafter:innen sagen: Das ist alternativlos. Aber die Mitgliedsstaaten hinken den eigenen Vorgaben hinterher.

WAS KÖNNEN WIR TUN?
Man kann der EUKommissionspräsidentin und der Welt natürlich auch selbst ein bisschen helfen, die Schadstoffe zu reduzieren. Als Anfang bietet sich der Verkehrssektor an. Das Angebot an Bus, Zug und Straßenbahnen ist in Tirol in den letzten Jahren deutlich ausgebaut worden. Auch immer mehr schöne Urlaubsziele in nah und fern sind unkompliziert mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar.

Die erste Frau an der Spitze der EU hat sich ein fast unmögliches Ziel gesetzt: Ursula von der Leyen will ihren sieben Kindern und der Welt ein bis 2050 klimaneutrales Europa hinterlassen. Dass das eine knappe G’schicht werden würde, war von Anfang an klar. Politisch wehren sich mächtige Industrie- und Arbeitnehmerverbände im Einklang gegen strengere Vorschriften. Mitgliedsstaaten wollen im Standortwettbewerb um Arbeitsplätze nur dann strengere Umweltauflagen, wenn das in den anderen Mitgliedsstaaten auch passiert. Und die Wissenschaft hat regelmäßig schlechte Nachrichten, weil nicht jeder Zehntelprozentpunkt mehr Hitze gleich viel Auswirkungen hat, sondern jede weitere Steigerung umso dramatischer wirkt, je heißer es schon ist. Dass trotzdem ein Paket vorliegt, das am Papier die notwendigen Maßnahmen formuliert, war bereits ein Kraftakt für die komplexen EU-Institutionen. Aber Papier ist bekanntlich geduldig.

Milliardenschäden durch Klimaprobleme.
Eines der besten Argumente der Verfechter:innen einer intensiven Klimapolitik sind die wirtschaftlichen Schäden durch die Klimakrise. Die Kosten der Klimaschäden, wie Hochwasser, Murenabgänge, ausgefallene Ernten, erfrorene Bäume und weggespülte Straßen, haben sich im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten pro Jahr verdreifacht: von knapp über 10 Milliarden Euro EU-weitem Schaden pro Jahr auf weit über 30 Milliarden Euro pro Jahr. Der „Green Deal“ soll vom Finanzmarkt über die Energieversorgung und die Landwirtschaft bis zum Verkehr alle Klimaampeln auf Grün stellen. Für von den besonders klimaschädlichen Energieformen Öl und Kohle abhängige Länder ist sogar eine finanzielle Unterstützung durch jene Staaten vorgesehen, die sich leichter damit tun. Die EU verdoppelt ihre finanziellen Beiträge zur Klimapolitik von fast 1 Billion Euro in den Jahren 2014 bis 2020 auf fast 2 Billionen Euro jährlich in den Jahren 2021 bis 2027. 2030 muss die Reduktion bereits 55 Prozent betragen, wenn man die 90 Prozent bis 2040 und die komplette Klimaneutralität bis 2050 schaffen will. Und da hapert’s jetzt schon.

Beim Verkehr ist’s schwer.
Ein Blick auf Österreich zeigt, warum das alles eng werden wird. Die Alpenrepublik hat sich nämlich bis 2030 ein etwas leichteres Ziel gesetzt – 48 Prozent statt wie EU-weit 55 Prozent Schadstoffreduktion. Aber auch das wackelt. Denn nur wenn alle Maßnahmen aus dem aktuellen Klimaplan umgesetzt werden, ist dieses Zwischenziel erreichbar. Bleibt die österreichische Klimapolitik auf der Bremse, kommen laut Finanzministerium im Jahr 2030 fast 5 Milliarden Euro Strafzahlung auf Österreich zu. Momentan werden Klimamaßnahmen eher zurückgenommen als ausgebaut – siehe den eben abgeschafften Klimabonus oder das gecancelte Gratis-Öffiticket für alle 18-jährigen Österreicher:innen. Das Steuerprivileg für günstigeren Diesel, das Rechnungshof wie Umweltexpert:innen seit Jahren ein Dorn im Auge ist, bleibt dagegen. Verantwortlich dafür ist auch ein kompliziertes System der österreichischen Verwaltung und der Bundesländer. Schon die Einigung auf einheitliche Zahlen und eine österreichweite gemeinsame Dokumentation der relevanten Daten ist oft ein Kraftakt. Und trotzdem: Mitte Juni stellen 150 österreichische Klimaforscher:innen einen über drei Jahre erarbeiteten Weg vor, der mit konkreten Maßnahmen dennoch zum Erreichen der Klimaziele führen kann. Unabhängig davon, was genau präsentiert wird: Dann sind jedenfalls Eile und Konsequenz gefragt.

Durchblick im Zahlensalat
Ausgangspunkt aller Berechnungen sind die Luftwerte im Jahr 1990. Bis 2030 soll es 55 Prozent weniger Schadstoffe geben und bis 2040 soll die Reduktion 90 Prozent betragen. Seit 1990 weiß man gesichert, dass eine Überhitzung der Erde um mehr als zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Mittelalter unvorhergesehene Risiken und einen Dominoeffekt beim Zusammenbruch von Ökosystemen bringen wird. Vergangenes Jahr wurde die 1,5-Grad-Grenze erstmals überschritten. Wissenschafter:innen sprechen davon, dass wir momentan auf Kurs in Richtung über 2,5 Grad Erdüberhitzung liegen. Noch viel mehr Extremwetterereignisse und Naturkatastrophen sind damit vorprogrammiert.

Die EU-Kommissionspräsidentin hat ihr ganzes Gewicht für einen politischen Plan in die Waagschale gelegt.


Diese Serie wird durch Unterstützung des VVT ermöglicht.

Der Klimawandel betrifft uns alle, deshalb widmet sich die Serie „Und wie geht’s dem Klima?“ einmal im Monat aktuellen Entwicklungen, Herausforderungen und Ideen rund um das Thema.

Interview: Markus Maier
Fotos: Shutterstock.com