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Que(e)r durchs Herz

Que(e)r durchs Herz

Queeres Dating stellt festgefahrene Strukturen infrage. Es kreiert eine Welt voller Wandel, Vielfalt und stellt sich auch so einigen Herausforderungen. Doch was macht queeres Dating so besonders, wo gibt es Anlaufstellen im Herzen der Alpen und welche Erfahrungen teilen Menschen jenseits der Heteronormative?

Zittrige Hände, weiche Knie und eine um mindestens 5 Grad erhöhte Körpertemperatur. Das Herz rast und die Gedanken malen sich Bilder sämtlicher Szenarien aus: Dating kann Freude, Neugier und Schmetterlinge im Bauch hervorrufen, aber auch erbarmungslos an unserem Ego rütteln oder unsere tiefst verdeckten Unsicherheiten ans Tageslicht zerren. Da liegt es auf der Hand, dass queeres Dating als Abweichung gesellschaftlicher Konvention und Norm in einer anderen Liga von emotionalem Hürdenlauf spielt.

Romeo statt Romantik.
Martin hat sich in Sachen Dating viel im virtuellen Raum versucht: „Romeo und grindr würde ich als klassische Dating-Apps für queere Männer bezeichnen. Sie schaffen einen geschützten Raum, in dem Menschen ihre Identität offen preisgeben können.“ Gleichzeitig berichtet Martin von einer starken Sexualisierung. „Der sexuelle Schwerpunkt ist jedoch wirklich sehr ausgeprägt. Ständig bekam ich Anfragen für Treffen mit klaren Absichten. Das kann natürlich aufregend sein, aber für eine tiefere Verbindung reicht das einfach nicht. Mittlerweile würde ich sagen, dass es kaum möglich ist, Beziehungen auf diesen Online-Plattformen zu finden.“ 

(Nächtliche) Räume als Beziehungslabor.
„Einmal habe ich in der Schickeria jemanden kennengelernt.“ Martin überlegt. „Das hätte tatsächlich was werden können.“ Der 25-Jährige nutzt gern das Innsbrucker Nachtleben als Kosmos des Freiseins. „Auch in der Friends Bar habe ich schon einige schöne Momente erlebt und mich mir selbst ganz nah gefühlt.“ Denn queeres Dating ist nicht nur die Suche nach einer Beziehung, sondern auch das Greifen nach sich selbst. „In einer Welt voller Cis-Vorstellungen und Erwartungen hat es einige Zeit gedauert, bis ich mich selbst akzeptieren konnte. Die Partnersuche war für mich auch immer ein Streben nach Zugehörigkeit.“ Martin berichtet hierbei von einem nicht allzu leichten Weg. „Innsbruck steckt in vielen Aspekten noch in den Kinderschuhen, was Offenheit und Akzeptanz betrifft.“

Dennoch gibt es mittlerweile zahlreiche Anlaufstellen und Veranstaltungen, die speziell auf die queere Community ausgerichtet sind. Dazu zählen monatliche Treffen, Partys und öffentliche Veranstaltungen, bei denen sich Menschen in einem sicheren Umfeld austauschen können, als Basis eines vertrauten Miteinanders.

Das weiß auch Robyn, 36: „Als ich nach Innsbruck kam, war es mir besonders wichtig, Peergroups zu finden, vor allem in politisch organisierten Gruppen. Es gab und gibt mir nach wie vor Halt, Teil der in Innsbruck bestehenden FLINTA* Gruppe zu sein.“ Robyn wurde – biologisch gesehen – als Junge geboren und bekam somit auch eine männliche Erziehung. „Ich kenne schon auch dieses Hetero-Dating, aber richtig wohlgefühlt habe ich mich nie damit. Ehrlich gesagt, habe ich auch lange nicht gewusst, was genau daran so bizarr für mich ist.“ Durch die Vernetzung mit Flinta & Fresh im damaligen DeCentral und heutigen Café Lotta begegnete Robyn dem Begriff der Nonbinarität und konnte sich selbst darin erkennen. „Darum sind queerfreundliche Begegnungsräume auch so wichtig. Ein Safe Space schafft Wohlbefinden und ein unbeschwertes Sein. Du findest zu dir.“ Das Datingleben an sich sei auch eng verknüpft mit dem Outing gewesen: „Ständig war ich mit Fragen konfrontiert. Warum fühlt sich die Norm so unnormal an? Was bin ich eigentlich? Wer bin ich eigentlich?“

Treffpunkte für queere Menschen

  • Die Schickeria ist ein Lokal der queeren Szene in der Maria-Theresien-Straße 49. Gleich ums Eck findet man in der Salurnerstraße 18 die Friends Bar, das ehemalige Bacchus.

  • Im Café Lotta gibt es jeden ersten Freitag im Monat ein FLIN*TA-Treffen.

  • Das Queere Chaos Kollektiv (www.qck.tirol) veranstaltet unter anderem einmal monatlich Queer- und Poly-Stammtische.

  • 2025 ist auch wieder ein queeres Speeddating in der Bäckerei geplant, der genaue Termin steht allerdings noch nicht.

  • Youth-meetings.at veranstaltet im Sommer und Winter Feriencamps für Jugendliche und junge Erwachsene unterschiedlicher sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten.

Robyn stieß auf das Queere Chaos Kollektiv und nahm an Polystammtischen und dem queeren Speeddating teil. Mittlerweile ist Robyn selbst Bestandteil der Peerberatung im Kollektiv. „Das Queere Chaos Kollektiv denkt den queeren Begriff ziemlich weit: Von Fragen zu Intergeschlechtlichkeit oder rechtlichen Aspekten bis hin zu Monogamie und Polyamorie, alle Themen und Gedanken haben Platz. Und natürlich sind alle willkommen!“ Diese Zugehörigkeit ist nicht nur ein Gefühl, sondern ein treibender Anstoß. „Seitdem ich meine Identität gefunden habe, kann ich mich auch mit den passenden Beziehungskonzepten für mich auseinandersetzen. Ich verspüre einfach keinen Druck mehr, mich meinem Gegenüber auf Biegen und Brechen klar machen zu müssen. Und ich habe gelernt, dass es völlig in Ordnung ist, sich nicht in die klassischen Vorstellungen von romantischen oder monogamen Partnerschaften einzuordnen. Das war sehr wichtig für meine Entwicklung.“

Begegnungen als Brücken.
Bei Events wie „Fear the Queer“, jeden ersten Freitag im Café Lotta, ist Robyn auch hinter den Kulissen und am Mikro anzutreffen. Gemeinsam feiern und Karaoke singen sind ein wichtiger Bestandteil der Veranstaltung. „Ein gemeinsames Singen bedeutet für die Community Sichtbarkeit. Für viele queere Menschen, die sich im Alltag vielleicht nicht immer frei zeigen können, bietet die Bühne beim Karaoke eine einzigartige Möglichkeit, ihre Identität und Gefühle auszudrücken.“ Und oft wird nicht nur nach romantischen Partner:innen gesucht, sondern auch nach Menschen, die ähnliche Lebenserfahrungen teilen. Sei es im Dating-Kontext oder darüber hinaus – es geht um ein Wir-Gefühl. „Es fühlt sich großartig an, ungezwungen Leute kennenzulernen.“

Davon spricht auch Vio. „Generell gibt es Halt und Sicherheit, wenn Menschen in deinem Leben sind, die einen ähnlichen Weg gehen wie du. Es ist ein langwieriger Prozess, sich im queeren Dasein zurechtzufinden und auch zu akzeptieren.“ Die 32-Jährige betont hierbei das Angebot der Youth Meetings. „Das Summer Meeting war für mich damals eine besonders auffangende Erfahrung. Kurz gesagt, handelt es sich um ein queeres Sommercamp, an dem Menschen aus ganz Österreich teilnehmen können. Für Pistenfreund:innen gibt es auch das Winterpendant dazu, das findet in Tirol statt.“ Die Welt des Datings sei für sie prinzipiell mit vielen Fragezeichen versehen. „Kompliziertes Thema, ganz unabhängig vom Trans*frau sein!“, lacht Vio. „Vor dem Outing meiner Transidentität führte ich eine Beziehung mit einem Mann und probierte mich auch prinzipiell mit Männern aus. Da hat aber immer was gefehlt. Also versuchte ich mein Glück mit einer anderen Dating-App.“ Und tatsächlich – dort lernte sie ihre Partnerin Patricia kennen. Auch Vios Erfahrungen zeigen, wie vielfältig und komplex der Weg zur eigenen Identität sein kann – von der Suche nach Halt und Sicherheit bis hin zu besonderen Begegnungen, die das Leben verändern. Heute bringt sie sich aktiv im Queeren Chaos Kollektiv ein, um diese Erfahrungen weiterzugeben und anderen Menschen auf ihrem Weg Halt und Orientierung zu bieten.

Niederschwellig, inklusiv, solidarisch.
Das Queere Chaos Kollektiv entstand aus einer einfachen, aber dynamischen Idee: einen Horizont zu schaffen, in dem queere Menschen frei leben und sich gegenseitig unterstützen können. Gegründet wurde das Kollektiv vor zwei Jahren von einer kleinen Gruppe Aktivist:innen und kreativer Personen in Innsbruck, die den Mangel an inklusiven und offenen Räumen für die queere Community erkannt hatten. So wurden Ideen gesammelt, Interessent:innen mit ins Boot geholt und gemeinsame Segel gesetzt. „Am wichtigsten ist für uns die Niederschwelligkeit. Das queere Chaos Kollektiv soll für alle Menschen leicht zugänglich sein“, meint Vio. „Speziell für Personen, die noch nie bei einem Treffen bei uns waren. Da fühlt es sich einfach leichter an, sich mal in einem Park zu treffen, als in einem Café. Darum sind wir auch örtlich überall in Innsbruck zu finden.“ 

Neben den Stammtischen, Veranstaltungen und Workshops sind es auch Events, die das Queere Chaos Kollektiv trägt – wie die Trans Awareness Week. Daraus entstand der Verein zur Förderung queeren Lebens in Tirol. Das Programm und die Angebote werden regelmäßig im Plenum besprochen, denn das Kollektiv distanziert sich ganz klar von Hierarchien. „Alle Menschen können mitentscheiden und mitgestalten. Jede:r ist willkommen bei Fragen, bei Unsicherheiten und bei allem, was sonst so auftauchen kann!“ Als wesentlichen Bestandteil des Programms sieht die Innsbruckerin jedoch die Stammtische und die Peerberatung. „Es ist wichtig, zu betonen, dass die Peerberatung keineswegs eine Psychotherapie oder psychologische Beratung ersetzt. Wir möchten aber gerne unsere Erfahrungen zur Verfügung stellen und bieten ein offenes Ohr für alle, die es sich wünschen und es brauchen.“ Als ausgebildete Juristin bietet Vio auch eine Art Rechtsorientierung in der Peerberatung an. „Oft kann auch mit dem Weiterleiten an Organisationen oder dem Abklären finanzieller Fragen geholfen werden. Gemeinsam lassen sich besser Hürden abbauen!“

AutorIn: Hannah Gitterle
Foto: Monika Cichoń